Chanukka Grußwort von Helge Lindh

Lieber Leonid Goldberg,
liebe jüdische Gemeinde,
liebe Versammelte,

Chanukka Sameach!

Der vergangene Montag sollte ein Fest der Freude im deutschen Bundestag werden, das lange geplante erste offizielle Chanukka-Fest im Herzen des Bundestages. Es wurde ein Auftakt in tiefer Dunkelheit des antisemitischen mörderisch-barbarischen Terrors von Bondi Beach – und am Ende doch ein Fest des Lichtes. Während ich diese Zeilen schreibe, stehe ich unter dem prägenden Eindruck des Vortrags von Rabbi Teichtal soeben vor dem Brandenburger Tor anlässlich der Entzündung der Chanukkia. Ein flammendes Plädoyer für die Menschlichkeit und das Leben, ein unüberhörbares Jetzt-erst-Recht für jüdisches Leben und seine Sichtbarkeit. Licht besiegt am Ende immer die Dunkelheit. Oder mit den Worten seiner Großmutter, einer Überlebenden der Shoah: Die Dunkelheit bekommst du nicht mit einem Besen weg. Die bekommst du nur mit Licht weg.

Die Terroristen hassten das Licht. Das Licht, das war Alex Kleytman, der den Holocaust überlebt hatte, sich am Bondi Beach schützend vor seine Frau warf und ermordet wurde durch die Täter, die nun vollendeten, was Nazi-Deutschland ihm und seiner Gattin gegenüber versucht hatte. Das Licht, das war auch ein weiterer der 15 Ermordeten, Eli Schlanger, ein höchst bescheidener Rabbiner der Chabad-Gemeinde von Bondi, seit 18 Jahren im Amt, voller Hingabe für seine Gemeinde und auch als Seelsorger und Gefängnisseelsorger unentwegt im Dienst. Das Licht, das waren auch Boris und Sofia Gurman, die einen der Angreifer unfassbar heldenhaft aufzuhalten versuchten und dafür mit dem Leben bezahlten. Das Licht, das ist auch Ahmed al-Ahmed, der einen der Täter unglaublich mutig ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben entwaffnete und von Kugeln getroffen wurde.

Die Tat war kein plötzlicher Einbruch von Dunkelheit durch einzelne. Die Terroristen handelten bekräftigt, bestärkt, befeuert durch eine globale Explosion von Antisemitismus in den letzten Jahren, auch in Deutschland. Der Massenmord vom 7. Oktober, der furchtbarste Vernichtungsversuch seit 1945, hat absurderweise nicht etwa ein Innehalten und eine Welle von Solidarität samt entschiedenem Nein zum Antisemitismus, sondern im Gegenteil den größten Schub von offenem und verstecktem Antisemitismus, von Relativierung, Empathielosigkeit gegenüber Jüdinnen und Juden, von schreiender Ignoranz und brüllendem Schweigen zur Folge gehabt.

Wer dabei richtigerweise vom rechten Antisemitismus in der Geschichte
des deutschen Judenhasses spricht, darf aber auch nicht von heftigem,
hemmungslosem Antisemitismus in linken Milieus, vom Antisemitismus in
migrantischen Communities und in alteingesessenen Gemeinschaften der
Mitte schweigen. Wer zu Recht über die christliche Tradition des
Antijudaismus redet, kann nicht über Linien der Judenfeindlichkeit in
muslimischen Kontexten schweigen. Überall in Berlin finden sich rote
Dreiecke, Häuser von Juden wurden im Jahre 2025 mit Davidsternen
gekennzeichnet, das waren nicht einfach die Taten vereinzelter, verwirrter Neonazis. Unvergesslich bleibt mir das Bild jüdischer Männer, die nach dem Besuch einer Veranstaltung in der Neuen Synagoge Berlin umgehend draußen ihre Kippa mit einer Baseball-Kappe verbergen, aus Sorge vor Angriffen und Beleidigungen. Wer Terror und Vernichtungswillen zur Freiheitsbewegung umetikettiert, ist irgendwo falsch abgebogen und sollte tunlichst zu Humanismus den Mund halten. Nach Bondi und nach all dem im Alltag müssen daher im politischen Berlin Strafverschärfungen, die auf diese Wirklichkeit antworten, und konsequente Rechtsanwendung, noch intensiverer Schutz von Einrichtungen und Maßnahmen zur Prävention auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wir sprechen da manchmal etwas technisch-abstrakt vom Schutz jüdischen Lebens, das heißt aber ganz konkret, dass Jüdinnen und Juden offen jüdisch sein können, dass sie frei und selbstbestimmt sein und leben können, dass sie sich nicht zu erklären haben. Spätestens da sollte jedem klar werden, wie sehr Antisemitismus ein Anschlag auf die offene Gesellschaft und den Kern unseres Grundgesetzes ist.

Mit Chanukka feiern wir buchstäblich, dass Jüdinnen und Juden
selbstbestimmt leben und ihren Glauben leben konnten, wir feiern nämlich die Wiedereinweihung des Zweiten Tempels in Jerusalem. Das koschere Öl zur Entzündung der Menora im Tempel, das eigentlich nur einen Tag reichen sollte, spendete acht Tage Licht, bis wieder neues Öl verfügbar war. Ein Wunder der Hoffnung, das gegenwärtiger nicht sein könnte. Zugleich erinnern wir uns daran, dass jüdische Feste oft mit dem Versuch der Vernichtung verbunden sind. Während wir an Purim der Rettung der Juden vor der physischen Vernichtung im Perserreich gedenken, ist Chanukka untrennbar mit dem Versuch der Seleukiden verknüpft, das Judentum als solches auszulöschen. Der Plan, das Judentum als Idee, als Konzept auszulöschen, war der Ausgangspunkt.

Genau aus diesem Grund ist es so unendlich wichtig, dass in ganz
Deutschland und in der Welt weit darüber hinaus die Lichter der Chanukkia öffentlich angezündet werden. Jetzt erst recht. Notwendige Bedingung der Möglichkeit dieses Sieges des Lichts über die Dunkelheit und der Stärke des Judentums über die Versuche der völligen Vernichtung sind indes entschiedene Maßnahmen gegen Antisemitismus und klare Benennung dessen, was ist – gegen jede Verharmlosung und Leugnung. Die Hoffnung braucht kurzum Arbeit der Nicht-Juden, denn es ist nicht Aufgabe des Judentums, den Antisemitismus zu bekämpfen und auf ihn aufmerksam zu machen. Die Täter von Bondi Beach griffen gezielt das öffentliche, friedliche, heitere Fest jüdischen Lebens in Form von und an Chanukka an und zwar an einem Ort, der geradezu ikonisch für Toleranz, Freiheit und Lebensfreude steht.

In all dem namenlos großen, alles zu verschlingen drohenden Schmerz hat dennoch das Ölwunder wieder stattgefunden. Das Fest, das bewusst für den Terror ausgesucht wurde, ist selbst die Antwort, die stärker ist als die Vernichtungswut des Antisemitismus. Jüdinnen und Juden, die in Wuppertal und auf dem gesamten Erdball Kerzen anzünden und sich ihren Glauben und ihr Recht, offen und frei zu leben, nicht nehmen lassen, sind die Antwort. Die vielen Polizistinnen und Polizisten in Wuppertal und in der gesamten Bundesrepublik, die aus schrecklichen Gründen jüdisches Leben tagtäglich mehr und mehr schützen und absichern müssen und das mit voller Überzeugung und mit unermüdlichem Einsatz tun, sind die Antwort. Sie alle, die Sie hier auf dem Geschwister-Scholl-Platz versammelt sind und sich für das Licht entschieden haben, gerade auch wenn Sie nicht der jüdischen Gemeinschaft angehören, sind die Antwort.

Dank Ihnen allen, Dank der Polizei für den Dienst am Leben und für die Freiheit, Dank der Solidargemeinschaft für die Initiative, Dank der Stadt Wuppertal und vor allem Dank Leonid Goldberg und der Jüdischen
Kultusgemeinde, das ihr trotz allem erst recht das Licht heute und immer wieder entzündet.

Chanukka Sameach!